Samstag, 1. Mai 2021. Mateu Morey zieht sich ohne Fremdeinwirkung eine schlimme Knieverletzung zu. Obwohl sie kurz vor dem Einzug ins Pokalfinale stehen, sind die Mitspieler geschockt. 14 Monate später applaudieren sie Mateu, als er erstmals wieder gemeinsam mit ihnen auf dem Rasen steht. In den Wochen vorher hat der 22 Jahre junge Spanier in seinem Heimatort in Petra auf Mallorca hart an seiner Fitness gearbeitet. Sein Papa ist Trainer der ersten Mannschaft des Vereins – und so standen die Türen für Mateu offen. 

Die Sonne hat an diesem frühen Dortmunder Sommertag schwer mit widerspenstigen Wolken zu kämpfen. Da fügt es sich ganz gut, dass wir mit Mateu Morey verabredet sind und der durch seine reine Präsenz das Licht heller scheinen lässt. Der Mann strahlt über das ganze Gesicht, als er um kurz nach eins seinen Wagen neben dem Gebäude der Jugendakademie auf dem BVB-Trainingsgelände in Brackel parkt. Gerade ist das Training zu Ende gegangen, ein ganz besonderes für Borussias spanischen Verteidiger, denn er durfte einen seiner vielen, kleinen Siege feiern, aber dazu später mehr. Es ist das dritte Treffen mit Mateu Morey im Rahmen einer Langzeitbeobachtung, die vor einem Jahr begonnen hat – kurz nach jenem denkwürdigen Spiel gegen Holstein Kiel, als Morey sich so schwer am Knie verletzte, dass er seitdem nicht mehr das schwarzgelbe Trikot mit der Nummer 2 überstreifen durfte. Ein Jahr lang hat er in der Reha gearbeitet und vom grünen Rasen geträumt. Jetzt ist er wieder da, nicht nur als gern gesehener Gast in der Kabine, sondern als vollwertiges Mitglied der Trainingsgruppe. Kann es einen schöneren Anlass für ein Gespräch geben? 

Buenos dias Mateu, wie geht’s? Erinnerst du dich noch daran, was du mir bei unserem letzten Interview im Winter versprochen hast?
Hmm, lass mich überlegen... na klar, wir wollten das Gespräch auf Deutsch führen. Also gut, du weißt ja, dass ich aus Mallorca komme, da muss man schon ein bisschen Deutsch sprechen. 

Es gibt hier ein paar Leute, die bezeichnen Mallorca als das 17. Bundesland... 
Schon gut, ich habe verstanden. Vielleicht können wir uns so einigen: Du fragst auf Spanisch, ich antworte auf Deutsch, und dann machst du etwas daraus. Okay?  

Sehr gern! Dann fangen wir mal mit der Frage an, die dir wahrscheinlich schon zu den Ohren rauskommt. Wie geht es deinem Knie?
Ja, das wollten zuletzt doch einige Leute von mir wissen, also eigentlich das ganze letzte Jahr über – es war ein langes und schweres Jahr. Egal, ich mag diese Frage, weil ich ja eine schöne Antwort darauf geben kann: Das Knie ist perfekt! Weißt du noch, wie ich vor einem Jahr mit der riesigen Orthese herumgelaufen bin? Schau mal, jetzt sieht man die Narbe kaum noch. Das ist eine großartige Sache für mich, und auf dem Weg dorthin habe sehr hart dafür gearbeitet. Seitdem ich wieder mit der Mannschaft trainiere, fragt allerdings kaum noch einer nach dem Knie. Das ist ein gutes Zeichen, ich bin wieder einer wie alle anderen. So, wie es vor der Verletzung war. 

Was hast du denn alles über dein Knie gelernt in diesem langen und schweren Jahr? 
Schon einiges. Es waren ja zwei Operationen, seitdem kenne ich auch die deutschen Fachbegriffe. Bei der ersten Operation ging es um das Außenband und um die Kapsel, bei der zweiten noch mal ein bisschen um das Außenband und vor allem um das Kreuzband. Die Ärzte haben sehr gründlich gearbeitet, und jetzt ist wieder alles okay.  

Merkst du einen Unterschied zu früher? 
Also, ich fühle keinen Unterschied, aber das könnte auch daran liegen, dass ich nach der langen Verletzung gar nicht mehr weiß, wie es früher war ... Nein, jetzt mal im Ernst: Ich fühle mich gut und habe keine Angst. Das Knie ist perfekt. Vielleicht ist es nach den Operationen und der intensiven Arbeit in der Reha sogar ein bisschen stabiler als früher. Das wäre doch schön.  

Die Stabilität im Knie ist die eine Sache, die Umsetzung im Kopf noch mal eine ganz andere. Hattest du Bedenken vor den ersten Laufduellen oder Zweikämpfen? 
Überhaupt nicht! Mir war von Anfang an klar, dass ich eine sehr schwere Verletzung hatte und ich geduldig daran arbeiten muss, dass es wieder wird wie früher. Genau das habe ich getan. Ich weiß, wie wichtig das ist, was sich im Kopf abspielt. Deswegen habe ich ihm auch mal eine kleine Pause gegönnt. 

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Mateu lehnt sich zurück und erzählt vom Start in den Sommer, von der Zeit zwischen dem letzten Bundesligaspieltag und dem Start in die Vorbereitung. Er hat der Versuchung widerstanden, nur an das Knie zu denken und ihm alles unterzuordnen. Also ist er mit seiner Freundin in den Urlaub geflogen. Nicht nach Hause zur Familie, wo ihn doch wieder jeder auf die lange Verletzung angesprochen hätte. Sondern auf eine griechische Insel, wo ihn keiner kennt und wo es zehn Tage lang kein einziges Mal um Fußball und Verletzung und Reha geht. Einfach mal den Kopf frei bekommen. Dann ist er bereit für die nächste Etappe, für ein dreiwöchiges Aufbauprogramm daheim auf Mallorca. Joggen, Gewichte stemmen und auch ein bisschen mit dem Ball arbeiten, als die Kollegen alle noch am Strand liegen. Und den BVB hat er nebenbei auch noch repräsentiert.  

Es gibt da ein paar schöne Bilder von dir mit allerlei Kindern auf dem Fußballplatz. 
Oh ja! Ich war bei Borussias Fußallakademie in Cala Millor; eine sehr willkommene Abwechslung mit kleineren und größeren Kindern. Die wollten natürlich auch alle wissen, was mit meinem Knie ist. Oder was man als Fußballprofi so essen darf. Ich habe ihnen gesagt: leider keine Pizza!  

Ein paar Kilometer vom Haus deiner Eltern ist Rafael Nadal aufgewachsen. Ein herausragender Sportler, der auch immer wieder nach schweren Verletzungen zurückgekommen ist.
Rafa ist der Wahnsinn! Hast du das Viertelfinale in Wimbledon gesehen, das er trotz schwerer Bauchmuskelverletzung gewonnen hat? Unglaublich! Schade, dass er dann zum Halbfinale nicht mehr antreten konnte. Ich habe gelitten vor dem Fernseher. Als Kind habe ich auch sehr gern Tennis gespielt. 

Nadal wollte als kleiner Junge lieber Fußballspieler werden. Sein Onkel Miguel Angel ist fünfmal mit Barça Meister geworden, er hat die Champions League gewonnen und war Nationalspieler.
Die Leute bei mir zu Hause erzählen, dass er Talent hatte. Aber ich denke, Rafas Entscheidung für Tennis war nicht so falsch. Ich bin mit meiner Entscheidung für den Fußball auch glücklich geworden. 

Beim Trainingsauftakt Ende Juni in Brackel ist Mateu nicht der einzige Rückkehrer. Auch Edin Terzic freut sich darüber, endlich wieder mit dem Ball am Fuß auf dem Rasen zu stehen. Das eine Jahr als Technischer Direktor war aufregend und lehrreich, aber der Job als Cheftrainer ist noch mal eine andere Herausforderung. Um die 2000 Zuschauer sind dabei, als Terzic seine Spieler im Kreis um sich versammelt. Der Inhalt seiner Ansprache bleibt den Fans verborgen, aber ein Richtmikrofon fängt ein, wie er „Mateu“ ruft, und plötzlich ertönt lauter Applaus. Was war da los? 

Schön, dass wir einen Ohrenzeugen befragen können! Was hat Edin denn da gesagt in seiner Ansprache?
Nur nette Sachen! Er hat mich im Kreis der Mannschaft begrüßt und die Spieler daran erinnert, dass ich ein Jahr lang im Krankenhaus, in der Reha und überall sonst war, aber nicht auf dem Platz. Das sollte ich erst einmal genießen. Es war seine erste Ansprache als neuer Cheftrainer, und er denkt dabei an mich. Super! Du kannst dir sicher vorstellen, wie sehr mich das bewegt hat. Ich war ja nicht nur ein Jahr raus, ich hatte auch lange keinen Kontakt mehr zur Basis, zu den Fans. Erst kam Corona, dann meine Verletzung. Jetzt wieder auf dem Rasen zu stehen und dann auch noch vor Publikum, das ist wirklich eine große Sache. Aber das Genießen ist das eine, jetzt muss ich hart arbeiten, um den nächsten Schritt zu schaffen! 

Im Frühling hast du dich mit Patrick Owomoyela auf eine Tasse Kaffee vor der Kamera getroffen und dabei gesagt, du würdest dich beinahe schon wieder wie ein Fußballspieler fühlen. Und jetzt ...
... bin ich wieder ein richtiger Fußballspieler! Zu hundert Prozent! Du kannst dir gar nicht vorstellen, was das für ein Gefühl ist! Ich bin wieder da, auch wenn ich bei einigen Sachen noch vorsichtig sein muss. 

Hast du noch deinen alten Platz in der Kabine? 
Na klar! Es ist ein Jahr vergangen, ein paar Spieler sind gegangen und ein paar gekommen, aber sonst hat sich gar nicht so viel geändert. 

Was haben die Kollegen so erzählt? 
Es war ein sehr herzlicher Empfang. Alle haben sich für mich gefreut. Auch dafür bin ich sehr dankbar. Der Kontakt ist nie abgebrochen, ich war immer wieder mal in der Kabine. 

Als positiv denkender Mensch redest du gern über positive Dinge. Es dürfte im vergangenen Jahr aber auch ein paar nicht so schöne Momente gegeben haben. 
Da hast du leider recht. Ich kann mich an zwei sehr wichtige Momente erinnern. Der erste war unmittelbar nach der Verletzung im Spiel gegen Kiel. Ich wusste sofort, dass etwas ganz Schlimmes passiert sein musste, als Sportler hast du ein Gefühl für so etwas. Ich dachte: Himmel, das war es für mich, und zwar für eine sehr lange Zeit! Damit muss man erst mal zurechtkommen.  

Und der zweite Moment ... 
... kam nach der zweiten Operation. Ich war vorher auf einem guten Weg und hatte schon wieder einiges hinbekommen. Das waren kleine und sehr mühsame Schritte, aber es ging wieder nach oben. Dann kam die zweite Operation, und ich musste wieder bei null anfangen. Das war hart, sehr hart!  

Wie oft hast du in dieser Zeit vom Ball geträumt oder vom Rasen, vom ausverkauften Stadion?
Warte kurz, wie sagt man ‚cerrar los ojos‘ auf Deutsch? 

Die Augen schließen. 
Danke! Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich mich in unserem Stadion. Auch jetzt, wo ich wieder mit der Mannschaft trainiere. Ich kann gar nicht anders. Ich will und muss unbedingt wieder richtig Fußball spielen. Dafür werde ich alles tun! Ich glaube daran, dass alles im Leben seinen Sinn hat. Ich habe diese Zeit hinter mir und werde ein besserer Fußballspieler sein, als ich es vorher war. 

Bei unserem Gespräch im vergangenen Winter hast du von den kleinen Siegen im Alltag erzählt. Vom Moment, als du die Krücken ablegen durftest. Oder als du das erste Mal wieder den Ball am Fuß hattest. Was war denn dein bislang letzter Sieg? 
Den habe ich gerade eben erst gefeiert, vor einer Stunde, beim Training. Ich muss nach einem guten Jahr Pause noch ein bisschen aufpassen und darf nicht alles komplett mitmachen, ich brauche Kontrolle über meinen Körper. Aber heute habe ich mein erstes Spiel seit dem Mai 2021 gemacht! Es war nur ein Trainingsspiel, acht gegen acht, aber es hat sich super angefühlt. Ein weiterer kleiner Sieg! Deswegen ist das für mich heute ein sehr wichtiger Tag! 

Hast du dir einen Zeitplan für die kommenden Wochen gesetzt? 
Nein. Alles wird dann kommen. Ich habe mehr als ein Jahr lang gewartet und gelernt, was Geduld ist. Darf ich jetzt auch mal eine Frage stellen? 

Natürlich! 
Wir haben uns ja schon ein paar Mal getroffen, du hast mich in den verschiedenen Phasen meiner Reha immer wieder mal gesehen. War das jetzt unser letztes Interview, weil ich wieder zur Mannschaft gehöre? 

Ich würde mal sagen, die Langzeitbeobachtung des Rekonvaleszenten Mateu Morey ist beendet. Jetzt widmen wir uns wieder dem Fußballspieler Mateu Morey ... 
Das klingt nach einem guten Plan! Mal sehen, was da noch kommt. Wir sehen und sprechen uns wieder! 
Autor: Sven Goldmann 
Fotos: Joel Kunz

Der Text stammt aus dem Mitgliedermagazin BORUSSIA. BVB-Mitglieder erhalten die BORUSSIA in jedem Monat kostenlos. Hier geht es zum Mitgliedsantrag.

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BVB-TV by 1&1: Mateu Morey im Interview