Vor 40 Jahren trat er erstmals als Präsident an. Zu Beginn jeder seiner ersten drei Amtszeiten – 1979, 1984, 2004 – war Dr. Reinhard Rauball als "Retter" gefragt. Vor wenigen Wochen wurde der 72 Jahre alte Jurist für weitere drei Jahre in seinem Amt bestätigt – und spricht hier über eine Aufgabe, die man als "Lebenswerk" bezeichnen kann.

Guten Tag Herr Rauball! Sie waren ja mal ein gefürchteter Abwehrspieler. Kommen Sie heute noch dazu, selbst gegen den Ball zu treten?
Selbstverständlich! Jede Woche! Wenn es die Zeit erlaubt.

In der kalten Jahreszeit wahrscheinlich in der warmen Halle...
Nein, Fußball spielt man draußen, bei Wind und Wetter! Immer freitags um 21 Uhr bei meinen alten Freunden von Eintracht Dortmund. Das ist ein heiliger Termin. Wenn der BVB mal freitags spielt, weichen wir aus auf den Samstagvormittag. Und sonst spiele ich auch ganz gern in der Traditionsmannschaft vom BVB.

Welche Bedingungen handelt der Präsident für solche Einsätze aus?
Das ist klar definiert. Ich bekomme immer das Trikot mit der Nummer 10, eine Durchspielgarantie und eine Tafel Schokolade! Darunter geht es nicht.

Sie haben 1979 zum ersten Mal als Präsident Verantwortung beim BVB übernommen. Da fügt es sich symbolisch ganz gut, dass die letzten Wochen so etwas wie ein Spiegelbild der vergangenen 40 Jahre waren. Wie haben Sie das ständige Auf und Ab weggesteckt?
Ach, wenn Sie etwas so lange und so intensiv machen, wie ich meine Tätigkeit beim BVB, dann schmeißt Sie auch eine heftige Niederlage in München nicht um. Obwohl ich sagen muss, dass dieser Auftritt bei den Bayern eines Vereins wie Borussia Dortmund nicht würdig war, nicht in der Ausgestaltung und nicht passend in die Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahre. Egal. Lebbe geht weiter, hat mal ein bekannter Philosoph gesagt. 

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Der Philosoph Reinhard Rauball hat mal gesagt: Für Dortmund gibt es vier Dinge, die wichtig sind: Kohle und Stahl, das Bier und die Borussia. Davon ist nicht viel geblieben.
Leider. Dortmund war weltberühmt für Kohle, Stahl und Bier. Als ich 1960 hierher kam, hatte Dortmund acht Brauereien. Acht Brauereien! Von Kohle und Stahl redet auch keiner mehr. Nur die Borussia ist geblieben. Unzerstörbar. Das haben wir in den letzten 40 Jahren ein paar Mal bewiesen. 

Sie sind als 14-Jähriger mit Ihrer Familie nach Dortmund gekommen. In diesem Alter ist man als Fußballfan für gewöhnlich schon auf eine Mannschaft festgelegt. In Ihrer Heimatstadt Northeim war da nicht viel. In solchen Fällen schließen sich viele Erfolgsfans heute den Bayern an.
Die Bayern gab es damals noch nicht, jedenfalls nicht in ihrer heutigen Größe. Northeim liegt im südlichen Niedersachsen, also im Hamburger Einzugsgebiet, aber ich war kein HSV-Fan und habe auch nie ein Spiel von denen gesehen. Der richtige Schritt zum Fußball kam erst 1960, nach unserem Umzug nach Dortmund.

Zu Ihrem Amt beim BVB sind Sie eher zufällig gekommen. 
Durch einen Anfängerfehler, so etwas ist mir später nie wieder passiert. Ich war junger Anwalt, 32 Jahre, in einer renommierten Dortmunder Kanzlei, die auch den BVB vertrat. Dadurch gab es einen persönlichen Kontakt zum Klub.

Damals ging es beim BVB drunter und drüber.
Oh ja! Erst trat der Vorstand zurück, dann wieder vom Rücktritt zurück und der Präsident schließlich wieder vom Rücktritt vom Rücktritt zurück. Präsident Heinz Günther, ein sehr honoriger Mann, Bergwerksdirekter bei der Zeche Gneisenau. Er wollte einfach nicht mehr. Dazu gab es Verwerfungen zwischen dem Trainer Carl-Heinz Rühl und der Mannschaft. Und weit und breit kein neuer Präsident in Sicht. Da besuchte mich eines Tages der Vorstandsvorsitzende der Stadtsparkasse in Dortmund, einflussreiches Mitglied unseres Wirtschaftsrates. Ich wusste gar nicht warum, an meinem Konto konnte es nicht liegen, das war in Ordnung. Der Mann fand, es sei eine gute Idee, mich zum Präsidenten zu machen. Ich fand das nicht, war aber überhaupt nicht vorbereitet auf diese Frage. Ich habe gesagt: Nein, das mache ich nicht! Aber wenn Ihr keinen anderen findet, könnt Ihr ja noch mal anrufen. Da hat er gedanklich die Arme nach oben geworfen und seinen Leuten gesagt: Wir haben einen, aber der weiß es noch nicht! Kurz darauf bin ich gewählt worden.  

Im Frühjahr 1979 waren vier Profis älter als Sie. Wie ist so ein junger Spund in der Kabine aufgenommen worden?
Ich wusste: Wenn du da jetzt mit schlotternden Knien reingehst, hast du ein für alle Mal verloren. Also bin ich selbstbewusst rein, habe mich vorgestellt und gesagt, was mir so vorschwebt. Erst mal den Klassenerhalt schaffen, dann die wirtschaftliche Basis für eine bessere Zukunft legen. Nach Gesprächen mit der Mannschaft habe ich das Problem mit dem Trainer erkannt, und wir haben uns von Calli Rühl getrennt. Danach brauchten wir einen Trainer, der uns, despektierlich gesagt, die Mannschaft ein halbes Jahr vom Hals hält. Uli Maslo wusste gleich, dass er nur übergangshalber bis zum Ende der Saison auf der Bank sitzt. 

Sie wollten eine große Lösung: Udo Lattek!
Er war begeistert von der Idee, die Mannschaft zu verjüngen und hier etwas Neues aufzubauen. Mit jungen Spielern aus dem eigenen Nachwuchs. Eike Immel stand ja schon mit 17 im Tor, dazu kamen Michael Zorc, Ralf Loose und Ralf Augustin, ein Jahr später Erdal Keser. Irgendwie mussten wir ja das Publikum wieder auf unsere Seite bekommen. Als ich anfing, hatten wir im Durchschnitt 20.000 Zuschauer. Das war nicht unser Anspruch, und das war auch wirtschaftlich keine angemessene Basis. 

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Udo Lattek war 1979 der erfolgreichste Trainer Deutschlands, jeweils dreimal Meister mit den Bayern und Gladbach, dazu aktueller Uefa-Cup-Sieger. Dann ruft der 32 Jahre junge Reinhard Rauball an und überredet ihn zu einem Engagement beim zu diesem Zeitpunkt mittelmäßigen Bundesligisten Borussia Dortmund. Wie haben Sie das gemacht?
Ich habe mich nach seinen Gewohnheiten erkundigt, ihn in einer Kneipe in Köln getroffen und ein paar Kölsch getrunken. Dann klappt so etwas, oder es klappt nicht. Bei Udo hat es geklappt. Am Ende wollte er nur wissen: Müssen wir das jetzt schriftlich machen? Meine Antwort war: Ich bin Jurist, das habe ich so gelernt in meinem Studium.

Auf Fotos von damals fällt Ihre extravagante Brille auf. Haben Sie die von Elton John geklaut?
Hmm, hatte der auch so eine? Wir haben uns beide mal getroffen, das muss in der Tat Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger gewesen sein, als er Präsident und Owner beim FC Watford war.

Noch eine lustige Anekdote aus Ihrer ersten Amtszeit: Im Sommer 1979 sind Sie als Spieler mit Ihrem alten Klub Eintracht Dortmund zu einem Testspiel vor der Saison gegen die BVB-Profis angetreten. Wie kam es denn dazu?
Wissen Sie, das war eine Art Ablösespiel. Ich bin als Fußballer beim DSC 95 groß geworden und nach der Fusion mit der Eintracht ins Präsidium aufgerückt. Dann kam die Anfrage vom BVB wegen der Präsidentschaft, und ich habe gesagt: Okay, aber dafür müsst ihr auch ein Freundschaftsspiel gegen uns machen. Und natürlich wollte ich dabei sein. Wir haben immerhin in der vierten Liga gespielt, das war keine Thekenmannschaft.

Wir haben hier ein schönes Foto. Sie im Zweikampf mit Manni Burgsmüller. Beide total auf den Ball fokussiert, keiner will ihn verloren geben.
Wenn Sie genauer hinsehen, erkennen Sie, dass das Foto bei einer Ecke aufgenommen ist. Beide wollen wir zum Ball, er will ihn reinmachen, ich genau das verhindern. So funktioniert Fußball, in der Bundesliga wie in den Amateurklassen.

Der BVB gewann 9:0, Burgsmüller schoss fünf Tore. Hätte der Trainer Ihnen nicht einen anderen Gegenspieler zuteilen können?Auf keinen Fall! Er hat mich vorher gefragt: Gegen wen willst du spielen. Ich: natürlich gegen den Besten, gegen Burgsmüller!

Er hat Ihnen im Spiel das Goldkettchen vom Hals gerissen.
Ich glaube, das war nicht Manni, sondern Wolfgang Vöge. Ich war ihm wohl zu schnell, da konnte er sich nicht anders helfen. Kleiner Scherz! Im Ernst: Der Umgang auf dem Platz war sehr freundschaftlich, wie immer, ich habe noch heute zu allen ehemaligen Spielern ein sehr gutes Verhältnis. Mit Lothar Huber spiele ich Tennis, zu Manni Burgsmüller hatte ich bis zu seinem Tod im vergangenen Mai einen sehr guten Kontakt, heute noch zu Rüdiger Abramczik, Mirko Votava, Jupp Tenhagen, Erdal Keser und wie sie alle heißen. Selbst Marcio Amoroso, dessen Verpflichtung ich schwer kritisiert hatte, weil sie aus finanziellen Gründen unverantwortlich war, ist mir vor anderthalb Jahren bei einem Besuch in Dortmund um den Hals gefallen. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch zurück. 

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In Ihrer ersten Amtszeit haben Sie den Klub wirtschaftlich und sportlich konsolidiert. Wie viele Mandate hat das ehrenamtliche Engagement des Präsidenten Rauball den Anwalt Rauball in seinem Hauptberuf gekostet?
Ach, das kann ich nicht genau sagen, aber es war schon sehr aufwändig. Dabei musste ich ja irgendwie Geld verdienen als junger Familienvater mit Frau und zwei Töchtern. Als Präsident eines Bundesligaklubs waren Sie damals nicht nur Repräsentant und Vorstandschef, sondern auch Manager. Die Verhandlungen mit Spielern und Trainern habe allein ich geführt.

Welche waren die schwierigsten?
Schon die mit Manni Burgsmüller. Er hatte harte Auseinandersetzungen, erst mit Calli Rühl und nach dessen Entlassung auch mit Uli Maslo. Der hatte ihn beim letzten Heimspiel erst auf die Bank gesetzt und dann zum Warmmachen geschickt, aber nicht eingewechselt. Manni war schwer gedemütigt, er hat gesagt: Macht, was Ihr wollt, ich haue auf jeden Fall ab! Das hat schon ein paar Gespräche gebraucht, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Unter Udo Lattek war er im nächsten Jahr Kapitän und unser erfolgreichster Torschütze.

Wenn man Ihnen damals gesagt hätte, dass Sie später noch zweimal als Retter einspringen und so lange für den BVB arbeiten würden...
So weit hätte mich meine Vorstellungskraft nie getragen. Ich wollte die drei Jahre durchziehen, dann Schluss! Ich war gern Anwalt, habe die Arbeit genossen, viel Spaß dabei gehabt. Heute weiß ja keiner mehr, dass ich zu dieser Zeit am Sportinstitut an der Uni Bochum als erster Jurist überhaupt in Deutschland einen Lehrauftrag zum Thema „Sport und Recht“ hatte. Das war eine ganz neue Richtung in der Jurisprudenz. Sport war früher nicht so stark mit Rechtsproblemen belastet, aber das heißt ja nicht, dass es keine gab.

Nur zwei Jahre nach dem Ende Ihrer ersten Amtszeit mussten Sie schon wieder ran. Der BVB war erneut tief gesunken.
Viel tiefer ging es nicht. Schulden in Millionenhöhe, die Mannschaft in der Tabelle ganz unten. Ich weiß noch, an diesem ominösen Wochenende haben wir zu Hause 0:2 gegen Karlsruhe verloren.

Die Fans auf der Südtribüne riefen schon seit Wochen: „Vorstand, Trainer, Tippenhaus (der Manager, d. Ted) raus!“ „Reinhard Rauball, komm zurück nach Dortmund!“
An das Erste kann ich mich erinnern, an das Zweite nicht. Ich habe das Spiel gegen den KSC gar nicht gesehen, denn ich war mit einem Freund für ein Wochenende mit dessen Schiff vor der holländischen Küste. Danach wollten wir das Schiff zurück nach Deutschland transportieren, aber während der Fahrt platzte am Anhänger ein Reifen. Das dauerte und dauerte. Als ich nach Hause kam, zeigte mir meine Frau einen DIN-A4-Zettel mit den Namen von lauter Leuten, die ich unbedingt und ganz schnell zurückrufen sollte. Alles Journalisten und Leute vom Wirtschaftsrat. Kurz darauf wurde ich vom Amtsgericht als Notvorstand eingesetzt. Meine Bedingung war: Alle anderen müssen weg!

Sie haben gleich den Manager und den Trainer entlassen.
Erstmal nur den Manager Hans-Dieter Tippenhauer. Der Niedergang hatte ja seine Gründe.  Vor der Saison wurden Manni Burgsmüller und Rüdiger Abramczik verkauft, unsere beiden Torjäger. Eine unglaubliche Fehlentscheidung, dafür musste der Manager geradestehen. Gleich danach habe ich mit Trainer Konietzka gesprochen: Timo, wenn du jetzt denkst, ich schmeiße dich raus, dann irrst Du Dich. Ich habe gerade unseren Manager entlassen. Aber die Lage war zu verfahren, wir mussten etwas später noch ein Zeichen setzen. Da war Timo leider auch fällig. 

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Die sportliche Situation war das eine. Viel gravierender war die wirtschaftliche Lage.
Der DFB wollte uns keine Lizenz geben, wegen „fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit“, wie es in den Statuten hieß. Wir brauchten frisches Geld. In so einer Situation können Sie zu Ihrer Hausbank gehen, haben wir auch gemacht, aber da kam nur ein müdes Lächeln. Sie können auch bei Sponsoren anfragen, aber da gab es nur eine Handvoll, die in unserem Vereinsblättchen inserierten. Uns blieben nur die Zuschauereinnahmen in dem damals noch viel kleineren Stadion mit seinen vielen Stehplätzen, das reichte alles hinten und vorne nicht. Uns fehlten 1,2 Millionen Mark.

Da haben Sie Ihre Kontakte spielen lassen.
Ich war damals Aufsichtsratsvorsitzender bei einem Münchner Modeunternehmen, mein Stellvertreter ein einflussreicher Mann bei der Deutschen Bank. Ausgerechnet in der Woche, als der DFB von uns einen Nachweis über die Liquidität verlangte, flogen wir zu einer Aufsichtsratssitzung nach München. Wir saßen nebeneinander und ich habe ihn nach einem Kredit für den BVB gefragt.

Den er Ihnen nicht geben wollte.
Er hat mich beschimpft, den genauen Wortlaut erspare ich Ihnen jetzt. Na, als mir nichts mehr einfiel, habe ich gesagt: Passen Sie auf, wenn Sie sich jetzt verweigern, erzähle ich überall herum: Die Deutsche Bank ist schuld daran, dass der BVB keine Lizenz bekommt!

Clever!
Ja, aber nicht sehr seriös, das musse ich mir im Nachhinein eingestehen. Egal, er hat ganz erschrocken geguckt und gefragt: Um wie viel geht es denn? Ich wollte 1,2 Millionen, dachte mir aber: Wenn ich ihm diese Summe nenne, gibt er mir vielleicht 500.000. Also habe ich gesagt: 1,8 Millionen!

Wie viel haben Sie bekommen?
Nicht so schnell! Wir fliegen also zurück von der Sitzung in München, sitzen wieder nebeneinander, und ich frage noch mal: Können Sie sich nicht mal einen Ruck geben? Sie haben doch den Einfluss! Er winkt ab und sagt: Das habe ich schon in der Mittagspause erledigt.

Eine schöne Pointe.
Die Pointe kommt noch: Später ruft er mich an und erzählt von einem Telefonat mit seinem Chef Alfred Herrhausen. Der war ja vor seiner Aufgabe bei der Deutschen Bank im Vorstand bei der VEW in Dortmund tätig. Mein Gesprächspartner ruft also bei ihm an und sagt: Herr Doktor Herrhausen, ich habe Ihrer Stadt gestern einen sehr großen Gefallen getan und dem BVB einen Avalkredit über 1,8 Millionen genehmigt. Stille am anderen Ende der Leitung.

Hatten Sie Angst, das Geschäft könnte noch platzen?
Allerdings! Alfred Herrhausen wartet also eine Weile mit seiner Antwort, in solchen Situationen werden Sekunden zu Stunden. Dann sagt er: Das haben Sie gut gemacht! Aber die Geschichte geht noch weiter. Die Deutsche Bank hat mich nämlich in persönliche Bürgschaft für den Kredit genommen. Das hat mich etliche meiner grauen Haare gekostet. Hoffentlich liest meine Frau dieses Interview nicht; ich habe ihr davon nie erzählt.

Wirtschaftlich haben Sie die Lage in den Griff bekommen, aber die sportliche Krise hielt bis zum Ende dieser zweiten Amtszeit an – bis zur Relegation der Saison 85/86 gegen Fortuna Köln. Das Hinspiel ging 0:2 verloren, im Rückspiel stand es bis kurz vor Schluss nur 2:1. Der BVB stand mit anderthalb Beinen in der Zweiten Liga. Dann erzwang Jürgen Wegmann mit seinem Stolpertor noch ein Entscheidungsspiel. Wie viele Jahre sind Sie an diesem Pfingstmontag gealtert?
Wie alt wollen Sie mich denn noch machen? Aber es stimmt schon, das empfand ich lange Zeit als einen furchtbaren Nachmittag. Rolli Rüssmann hat mich später mal gefragt: Weißt Du noch, dass du kurz vor Schluss an der Seitenlinie gestanden hast? Nein, wusste ich nicht. Ich war wie von Sinnen, es stand ja auch für mich persönlich vieles auf dem Spiel. Wer will schon in die Geschichte eingehen als der Präsident, der den BVB in die Zweite Liga geführt hat? Das Tor von Wegmann werde ich nie vergessen, und, Himmel, dann hat der auch noch so lange gezögert! Der Torwart warf sich hin, Wegmann wartete, ich war verzweifelt und habe geschrien: Nun schieß doch endlich! Bis der Ball dann endlich drin war! 

Nach dem nun folgenden Entscheidungsspiel konnte ich mich guten Gewissens verabschieden und habe für die nächste Saison noch ein paar wichtige Transfers auf den Weg gebracht: Thomas Helmer, Nobby Dickel, Frank Mill und Teddy de Beer. Bald darauf durfte der BVB wieder international spielen. 

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Und Sie haben Ihren Nachfolger Gerd Niebaum auf den Geschmack am Fußballgeschäft gebracht.

Stimmt, aber das war noch während meiner ersten Amtszeit, und eigentlich war es meine Frau. Die ist mit Gisela Niebaum zur Schule gegangen. Einmal waren wir mal in einer Dortmunder Kneipe, da kamen die Niebaums hereinspaziert. Es wurde ein netter Abend, und irgendwann sagte Gerd Niebaum den beiläufigen Satz: Herr Rauball, was Sie machen, würde ich auch gern mal machen. Ich hatte das schon wieder vergessen. Bis ein paar Jahre später das Amtsgericht mich als Notvorstand einsetzte und wir unbedingt einen Vize brauchten. Meine Frau sagte beim Frühstück: Nimm den Niebaum, der hatte doch Interesse!

Wie haben Sie verfolgt, was Ihr Nachfolger so alles anstellte?
Er hat mir gleich den Vorsitz im Wirtschaftsrat angeboten, aber das wollte ich nicht. Es gibt bekanntlich nur zwei schlechte Leute, den Vorgänger und den Nachfolger. Ich wollte erstens dem Nachfolger nicht reinreden und zweitens nicht zum Dauerfunktionär werden. Das eine ist mir gelungen, das andere ... nun ja.

Mit dem BVB ging es unter Niebaum zunächst steil nach oben.
Erst der Sieg im DFB-Pokal, dann in der Champions League, zweimal Meister mit Ottmar Hitzfeld und später nochmal mit Matthias Sammer – sportlich war das eine großartige Zeit.

Aber schon bei der Meisterschaft 2002 war zu sehen, dass die Rahmenbedingungen in Dortmund nicht so waren wie etwa in München oder Hamburg. Die Mannschaft war einfach zu teuer, als dass man sie auf Dauer hätte finanzieren können. Warum hat das niemand sehen wollen?
Die Frage kann ich nicht beantworten.

Hätten Sie gern Einblick gehabt?
Das hätte sicherlich einiges einfacher gemacht. Und manches hätte sich wahrscheinlich anders entwickelt. Keine superteuren Spieler wie Marcio Amoroso, kein Stadion-Ausbau. Dann wären wir trotz des zwischenzeitlichen Börsenganges nicht in die Nähe der Insolvenz gekommen.

Als die Not Ende 2004 am größten war, sind Sie zum dritten Mal gefragt worden.
Ich habe gezögert.

Ihre Frau dürfte nicht gerade begeistert gewesen sein.
Ich verrate Ihnen jetzt nicht, wie sie reagiert hat, aber am Ende stand der Satz: Mach, was du für richtig hältst! Wie ich wusste sie genau, was auf mich zukommen würde. Das gesamte Jahr 2004 ist ja medial so umfangreich begleitet worden, dass es auch einem Außenstehenden allerlei Fragezeichen auf die Stirn geschrieben hätte. Präsident des Vereins zu werden, bedeutete, auch den Vorsitz des Beirates und des Präsidialausschusses zu übernehmen. Also gemeinsam mit meinen Kollegen in den Gremien die Geschäftsführung zu bestellen und Kontrollaufgaben wahrzunehmen, insbesondere die Haushalts- und Investitionspläne für die jeweiligen Geschäftsjahre zu genehmigen. Das konnte nur einer machen, der das Geschäft kennt. Wenn ein Kandidat kommt, der sich erst einarbeiten muss, wäre die Sache gegen die Wand gefahren. Das wollte ich mir nicht anlasten.

Sie haben sich selbst so unter Druck gesetzt, wie Sie es damals mit dem Mann von der Deutschen Bank gemacht haben: Wenn der Rauball nicht übernimmt, ist er schuld daran, dass es Borussia Dortmund nicht mehr gibt.
So ungefähr kann man das sagen. 

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Ein paar Wochen später kam es im März 2005 zu der legendären Veranstaltung im Event-Terminal des Düsseldorfer Flughafen. Sie mussten die Zeichner des Immobilienfonds‘ Moisiris davon überzeugen, weitgehend auf ihre Forderungen zu verzichten, damit der Verein Stadionanteile zurückkaufen und seine Liquidität erhalten konnte. Auch von diesem Tag haben wir ein schönes Foto: Wie Sie mit Aki Watzke auf dem Weg zur Veranstaltung sind. Als noch unklar war, wie die Sache ausgeht.
Sehen Sie da unten am Bildrand die Aktentasche in meiner Hand? Die soll jetzt ins Museum. Ich habe sie noch, die Krawatte auch. Das war ein unglaublich nervenaufreibender Tag. Bei der Rettung 1984 hatte ich immerhin die abstruse Idee mit der Deutschen Bank, da konnten wir das Problem mit ein wenig Phantasie lösen. Bei Moisiris war das in dieser Form nicht möglich. Ich weiß gar nicht, wie viele Stunden wir da gesessen haben. Alles hing von der Abstimmung der Zeichner ab. Im Namen des Volkes... Wir brauchten eine Zustimmung zu dem Sanierungskonzept von mindestens 75 Prozent. Bei 72 oder 74, auch keine schlechten Werte, wäre alles verloren gewesen, und wir hätten umgehend Insolvenz anmelden müssen. An der Wand vor uns sollte das Ergebnis aufleuchten.

Haben Sie sich die Augen zugehalten?
Ich habe direkt reingeschaut. Wir hatten keine Ahnung und kein Gefühl, wie das Ganze ausgehen würde. Von gut 5.000 Zeichnern waren nur 444 anwesend, nicht mal zehn Prozent. Waren das nun Leute mit schwarzgelbem Herz? Oder Sparfüchse, die ihr Geld zurückwollten? Es wusste niemand. Ich kann mich noch an das Gespräch mit einem Ehepaar erinnern, der Mann schwieg, die Frau sagte mir: Wir hören uns die Argumente an, danach entscheide ich. Lustige Geschichte, normalerweise?

Damals konnten Sie wahrscheinlich nicht lachen.
Erst, als auf der Anzeige das Ergebnis erschien. 96 Komma irgendwas.

Danach begann die neue Erfolgsgeschichte. Mit Ihnen als Präsident und Aki Watzke als Geschäftsführer. War er vielleicht der Königstransfer Ihrer drei Amtszeiten?
Das kann man so sagen. Ja.

Sie dürften 2004 nicht vorgehabt haben, das Amt bis 2019 und darüber hinaus zu bekleiden.
Auf keinen Fall. Ich war für drei Jahre gewählt, also bis 2007. Das war eine entscheidende Zeit. Erst die Sanierungsphase mit dem Kredit von Morgan Stanley im Sommer 2006, immerhin 79,2 Millionen Euro. Nochmal zwei Jahre später kam Jürgen Klopp, da ging es dann auch fußballerisch bergauf. Wir haben relativ schnell Verbindlichkeiten von 122 Millionen Euro abgebaut. Bevor diese Schritte nicht alle erledigt waren, sah ich mich in der Pflicht. Bedenken Sie allein die Probleme mit dem Stadion: Bevor wir die Sache mit Moisiris erledigt hatten, mussten wir im Jahr zwischen 17 und 20 Millionen Euro Miete zahlen. Das war Finanz- und Sanierungspolitik am Hochreck.

Auch wenn es nicht so geplant war: Ist Borussia Dortmund Ihr Lebensprojekt geworden?
Vielleicht muss man nicht unbedingt diese Vokabel wählen. Aber wenn Sie das 20 Jahre mit dieser Intensität an vorderster Stelle mitmachen, ist das schon höchst verantwortungsvoll.

Und alles begann mit diesem einen Satz: Wenn Ihr keinen anderen findet...
Sie dürfen sich sicher sein: In meinem nächsten Leben werde ich diesen Satz nicht nochmal sagen!

Zwischendurch waren Sie auch ein paar Jahre Präsident der Deutschen Fußball-Liga.
Ja, es waren insgesamt zwölf Jahre. Es war eine ebenso verantwortungsvolle wie höchst abwechslungsreiche Zeit, national wie international, mit dem Höhepunkt der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 als Mitglied der Delegation der Nationalmannschaft.

Zu den Aufgaben eines DFL-Chefs gehört es, am Saisonende dem Meister die Schale zu überreichen. Meist mussten Sie den Sportkameraden aus München gratulieren.
Immer Philipp Lahm, gleich beim ersten Mal hat mir meine jüngere Tochter eingeschärft: Papa, du musst dem Philipp sagen: Die Schale ist nur geliehen! Das war lange Zeit ein Running Gag zwischen Lahm und mir. Immer, wenn wir uns trafen, hat er gesagt: Ich weiß schon, Herr Rauball, die Schale ist nur geliehen! 

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Bis Sie 2011 das gute Stück endlich Roman Weidenfeller aushändigen durften. Deutscher Meister Borussia Dortmund! Vor 80.000 Zuschauern im SIGNAL IDUNA PAR. Was für ein erhabener Augenblick!
Überragend! Da kommt ein neues Lebensgefühl auf! Dann im nächsten Jahr noch mal und den Pokal – und danach das Champions-League-Finale in Wembley... Ich habe das als Gabe des Schicksals empfunden und vor allen Dingen auch als Geschenk an die Fans, die durch ihre Treue gerade in den schwierigen Jahren ein großes Stück zur Rettung des BVB beigetragen hatten.

2019 war Ihre Hoffnung auf eine neuerliche Meisterschaft immerhin so groß, dass Sie am letzten Spieltag nicht mit der originalen Schale zu den Bayern gefahren sind, sondern mit einer Kopie zum Gastspiel des BVB nach Mönchengladbach.
Auch das war eine großartige Erfahrung. In den Medien heißt es ja immer: Die Bundesliga ist so furchtbar langweilig geworden! Viele haben offensichtlich vergessen, dass am letzten Spieltag der vergangenen Saison noch zwei Mannschaften Meister werden konnten. Da kam bei der DFL die Frage auf: Was machen wir denn mit der Ehrung? Also ist Christian Seifert als Geschäftsführer nach München gefahren und ich bin nach Mönchengladbach. Diese Aufgabenteilung haben wir beide mit einem leichten Schmunzeln kommentiert.

Zum Schluss noch die alles entscheidende Frage, verstehen Sie das bitte nicht despektierlich. Aber wie lange wollen Sie sich diese Aufgabe noch antun?
Ich habe mir schon gedacht, dass Sie damit noch um die Ecke biegen. Also: Alle meine Amtsperioden waren so, dass ich erst einmal angefangen habe. Nur einmal habe ich gleich zum Start ein festes Ende vorgegeben, weil ich berufliche Verpflichtungen als Rechtsanwalt hatte. Am 24. November 2019 bin ich von der Mitgliederversammlung wiedergewählt worden. Damit ist eine enorme Verantwortung verbunden, und der will und muss ich gerecht werden. Danach werden wir weitersehen, und letzten Endes entscheidet ohnehin die Mitgliederversammlung.